Grundsätzliche Bemerkungen zur Diskussion über die sogenannte Liberalisierung des Friedhofsgesetzes in Sachsen-Anhalt/ Verein für Friedhofskultur in Halle und dem Umland e.V.
1. Der Mensch ist für den Menschen etwas Besonderes. Seine Würde ist unantastbar und reicht über den Tod hinaus. Sie kann weder liberalisiert noch privatisiert werden. Über sie wacht die Gesellschaft; ihren Schutz zu gewährleisten ist staatliche Verpflichtung.
2. Die rechtliche Stellung der Leiche ist einzigartig: der Körper eines gelebt habenden Menschen ist keine Sache, kein Gegenstand, der vererbt oder über den beliebig verfügt werden könnte. Jeder Bürger muss sich der Tatsache stellen, dass die zivilisierte Gesellschaft ein berechtigtes Interesse an jedem Einzelnen auch nach dessen Tod hat und die individuelle private Verfügungsbefugnis über Verstorbene beschränkt sein muss: so darf beispielsweise eine Leiche selbst dann, wenn dieses — im Extremfall — der ausdrückliche Wille des Verstorbenen gewesen sein sollte, nicht an Tiere verfüttert oder wie Abfall entsorgt werden. Das Interesse der im Leben verbliebenen Menschen an dem aus dem Leben durch seinen Tod ausgeschiedenen Mit-Menschen verbietet unmittelbar und konkret den privatisierten Umgang mit der Leiche.
3. Die Bestattung einer Leiche oder der sterblichen Überreste eines Menschen ganz allgemein, hat so zu geschehen, dass sie seine Würde und sein Andenken nicht mindert. Dazu bedarf es eines „inszenierten Abschieds“, wie er sich in unterschiedlichen Formen in allen Kulturen und Religionen herausgebildet hat, an einem jederzeit für jedermann zugänglichen, also öffentlichen Ort.
4. Jeder Trauernde, der es wünscht, soll die Möglichkeit zum „Letzten Geleit“ haben. Die Form dieses Abschiedes darf nicht soweit vom Herkömmlichen abweichen, dass er im Strudel der Beliebigkeit ‑wie es sich auch in Deutschland anzudeuten beginnt- untergeht, also kaum noch als würdige Handlung wiedererkannt wird. Die Entstehung von Drei-Religionen-Friedhöfen in Deutschland nimmt darauf Rücksicht.
5. Es ist sicherzustellen, dass die zur Würde des Menschen gehörende Erinnerung, deren Verlust einem zweiten Tod sehr nahe kommt, gewährleistet wird. Diese Erinnerung ‑speziell auch im Sinne der Generationenerinnerung- geschieht nicht nur immateriell, sondern auch materiell, indem die körperlichen Überreste nicht einfach verschwinden, sondern ein Ort für diese gefunden wird, an dem jeder Mensch, der es möchte, sich seines verstorbenen Mit-Menschen erinnern kann. Dieser Erinnerungsort ist herkömmlicherweise der Friedhof, auf dem sein Körper oder seine Asche beigesetzt wurde, also ein für jedermann zugängiger öffentlicher Raum. (Das gilt übrigens auch für Seebestattungen, bei denen es Gedenkfahrten an die Stelle des Meeres gibt, an der die Asche der Verstorbenen an das Wasser übergeben wurde, ebenso wie es bei Flüssen der Fall sein kann. Bei „Friedwäldern“ ist dies noch naheliegender.) Die immer wieder berichteten Beobachtungen, wonach bei anonym Bestatteten von Angehörigen und Freunden dann doch nach der genauen Stelle der Urnenbeisetzung gefragt wird, um genau dort Blumen niederzulegen, spricht für den Wunsch der Menschen, einen dauerhaften Ort des Gedenkens zu haben. Unverzichtbar ist, dass die Gesellschaft „in aller Öffentlichkeit“ über die fortbestehende Würde des Menschen wacht. Leichenschändungen, Grabschändungen und schändender Umgang mit einer Urne bzw. der Asche eines Menschen sind deshalb mit Strafe bedroht. Das ist im öffentlichen Raum kontrollierbar und durchzusetzen, im privaten nicht. Denn wer sorgt für die Würde des Verstorbenen, wenn der ursprüngliche „Besitzer“ seiner Urne oder seines Grabes verstirbt oder seinen Sinn wandelt? Ihm darf die Würde des Menschen nicht allein anvertraut oder gar ausgeliefert werden.
Schlussfolgerungen:. Über viele Einzelheiten kann beraten werden, auch über Beisetzungsmöglichkeiten, die sich aus anderen Religionen und Kulturkreisen ableiten. Die genannten Grundsätze sollten jedoch nicht verhandelbar sein. Wer sie nicht in Frage stellen und dennoch etwas ändern will, sollte genau überlegen, wie vieler Regelungen und einschränkender Vorschriften es bedürfte, um das Prinzip zu sichern, und dennoch sogenannte Liberalisierungen einzuführen. Ein schwieriges und vermutlich überflüssiges Bemühen!
Angefügt sei eine ganz andere Bemerkung: Die Verpflichtung zur öffentlichen Bestattung korrespondiert mit der gesellschaftlichen/ staatlichen Verpflichtung zur Vorhaltung des „würdigen öffentlichen Ortes“. In unserem Bundesland wäre bereits viel geholfen, wenn der bauliche Zustand und die Pflege unserer Friedhöfe besser wären.
Halle, im Mai 2014, Dr. Rüdiger Fikentscher / Vorsitzender